Die Ergebnisse im Überblick:

Im Rahmen des zweijährigen Monitorings wurden 780 Arten und 90.000 Falter dokumentiert. Der Vergleich mit den historischen Daten zeigt, dass die baden-württembergische Nachtfalterfauna von drastischen Veränderungen betroffen ist:

Individuen / Biomasse

Rückgang der Nachtfalter-Individuenzahlen um mindestens 25 Prozent (sehr vorsichtige Schätzung).

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Gesamt-Arten

Rückgang der vor der Jahrtausendwende noch vorhandenen Nachtfalter-Arten um knapp 30 Prozent.

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Rote Liste-Arten

Rückgang der vor der Jahrtausendwende noch vorhandenen Arten der Roten Liste um beinahe 50 Prozent.

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Trend

Negativer Trend bei 54 % der Arten. Gleichbleibender Trend bei 21 %, positiver Trend bei 25 % der Arten.

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Verarmung Lebensräume

Rückgang der durchschnittlichen Gebiets-Nachweise von charakteristischen Arten in allen Lebensraumtypen.

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Arealverschiebungen

Zunahme mediterraner Arten um 7 %, überdurchschnittlich starke Abnahme kontinentaler Arten um 15 %.

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Höhenstufen

Rückgang der typischen Arten aller Höhenstufen, am stärksten betroffen sind Arten der montanen und hochmontanen Lagen.

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Ein Widerspruch zur Krefeld-Studie?

Die berühmten 70 Prozent

Passen diese Zahlen zu den Ergebnissen der Krefeld-Studie?

Aus der Krefeld-Studie ist besonders die Zahl von 70 % in Erinnerung geblieben, vielfach ist allerdings unklar, dass es sich hier um den Rückgang von Biomasse handelt und nicht um Arten! Die Unterscheidung ist wichtig, denn:

Dem Aussterben einer Art geht zunächst ein deutlicher Rückgang ihrer Individuen und damit der Biomasse voraus! Der in der Krefeld-Studie ermittelte Biomasse-Rückgang von 70 % und der in diesem Monitoring festgestellte Verlust von knapp 30 % der vor der Jahrtausendwende vorhandenen Arten widersprechen sich also nicht, sondern sind jeweils eine deutliche Bestätigung des Insektensterbens.

1. Rückgang der Biomasse
(= Individuen)

Der Schwerpunkt des Monitorings und der vergleichenden Datenauswertung lag auf der Erfassung der Arten. Auf die Rückgänge der Individuen (also der Falter-Biomasse) wird daher im Folgenden nur kurz eingegangen:

Die Individuenzahlen der Arten haben in vielen Fällen stark abgenommen.

Problem: Fehlende Angaben zu Individuenzahlen in historischen Aufzeichnungen

In den historischen Daten sind oftmals nur die Arten eines Lichtfangs notiert, Angaben zu den Falterzahlen wurden seltener erfasst und folgten dabei meist keiner genormten Einheit, sondern wurden mit ungenauen Begriffen wie 

„viele“,
„wenige“,
„in Anzahl“ 

beschrieben.  Hinsichtlich der Individuenzahlen waren daher nur Daten aus 14 der 25 untersuchten Quadranten verwertbar. Der Schwerpunkt des Monitorings lag auch aus diesem Grund in der Erfassung des Arteninventars, nicht der Individuenstärke einer Art.

Dennoch können aus den Daten Anhaltspunkte
für die Individuenzahlen abgeleitet werden:

  • Sehr vorsichtig geschätzt gingen die maximalen Individuenzahlen aller Arten um mindesten 25 % zurück.
  • Die Anzahl an Arten mit besonders hohen Maximal-Falterzahlen von mehr als 100 Exemplaren pro Lichtfang hat sich ab der Jahrtausendwende von 20 Arten auf 11 Arten fast halbiert.

2. Rückgang der Artenvielfalt

Biodiversitätsverlust und Arten-Wandel

Die Artenvielfalt in vielen Lebensraumtypen hat zum Teil drastisch abgenommen, wie dieses Beispiel aus Rottenburg a. Neckar für Magerrasen und offene Felsbereiche zeigt:

Drastischer Verlust der Artenvielfalt in vielen Lebensraumtypen: In Rottenburg a. Neckar sind zahlreiche Arten der Magerrasen seit der Jahrtausendwende verschollen.

Gesamt-Entwicklung der Arten

Der Rückgang der Artenvielfalt wurde für jeden Quadranten (vgl. Umsetzung) einzeln ermittelt und im Buch detailliert beschrieben. Fasst man die Daten aller 25 untersuchten Gebiete zusammen, lassen sich folgende durchschnittliche Entwicklungen in Baden-Württemberg feststellen: 

392

Arten

279

Arten

- 29 %

113

Arten

65

17 % neue Arten

71 % bestätigt

29 % verschollen

Durchschnittlicher Wandel der Arten auf allen 25 Quadranten

Bisherige Arten

  • Im Altzeitraum (1971-2000) wurden im Durchschnitt 392 Arten auf jedem Quadranten nachgewiesen.
  • Im Durchschnitt konnten von diesen 392 Arten nach der Jahrtausendwende nur noch 279 Arten, also 71 Prozent bestätigt werden.
  • Die Zahl von ehemals 11 Quadranten, die mit über 400 Arten besonders artenreich waren, hat sich nach der Jahrtausendwende auf 4 Quadranten reduziert!

(Hinweis: dies sind Durchschnittswerte, welche die Dimensionen des Wandels verdeutlichen - die betroffenen Arten können von Quadrant zu Quadrant unterschiedlich sein.)

Neue Arten

  • Bemerkenswerterweise konnten seit der Jahrtausendwende auf jedem Quadranten durchschnittlich 65 Arten neu nachgewiesen werden, dies entspricht einem Anteil von 17 Prozent.
  • Verluste und Zuwanderungen ergeben in der Bilanz einen beträchtlichen Arten-Wandel in den untersuchten Gebieten!

Entwicklung der Rote Liste-Arten

Rote Liste-Arten besonders betroffen

Betrachtet man nur die Arten der Roten Liste, also die besonders gefährdeten Arten, so ist hier der Artenwechsel noch stärker ausgeprägt: 

61

Arten

32

Arten

- 48 %

29

Arten

19

31 % neue Arten

52 % bestätigt

48 % verschollen

Durchschnittlicher Wandel der Rote Liste-Arten auf allen 25 Quadranten

  • Im Altzeitraum (AZ) wurden im Durchschnitt 61 Rote Liste-Arten auf jedem Quadranten nachgewiesen.
  • Im Durchschnitt konnten von diesen 61 Arten nach der Jahrtausendwende nur noch 32 Arten, also 52 Prozent bestätigt werden.
  • 19 Arten (= 31 Prozent) kamen neu hinzu. Hierbei handelt es sich in den allermeisten Fällen um wärmebedürftige mediterrane Arten.

(Die  hier verwendete Rote Liste für die Schmetterlinge Baden-Württembergs stammt aus dem Jahr 2005 und wird derzeit angesichts der weitreichenden Veränderungen überarbeitet (Neuerscheinung 2024): Viele Arten, welche 2005 noch als ungefährdet oder nur geringfügig gefährdet galten, müssen mittlerweile hochgestuft werden. Eine geringere Anzahl an Arten – vor allem solche mit hohem Wärmebedüfnis – kann in ihrer Gefährdungskategorie herabgestuft werden.

Rote Liste

Die Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten wird durch die Einstufung in Rote-Liste-Kategorien wiedergegeben. Dabei bedeuten (nach der Roten Liste gefährdeter Pflanzen Deutschlands des Bundesamtes für Naturschutz 1996):

Kategorie Bedeutung
0 ausgestorben oder verschollen
1 vom Aussterben bedroht
2 stark gefährdet
3 gefährdet
R extrem seltene Art oder Art mit geographischer Restriktion
V Vorwarnliste
* ungefährdet

Download

Die Rote Liste der Schmetterlinge Baden-Württembergs:

Ebert, G., Hofmann, A., Karbiener, O., Meineke, J.-U., Steiner, A. & Trusch, R. (2008): Rote Liste und Artenverzeichnis der Großschmetterlinge Baden-Württembergs (Stand: 2004). 

3. Arten-Trends

Wandel des Gefährdungsgrads der einzelnen Arten

Für jede Art wurde ihr langfristiger Trend ermittelt. Hierzu wurde gezählt, auf wievielen Quadranten die Art im Alt- und im Neuzeitraum nachgewiesen werden konnte. Dies ergab ...

Neu eingewanderte Arten

Sind die Zuwanderungen ein Ersatz für die Verluste?

Auch wenn bei weiteren gezielten Nachsuchen die ein oder andere Art doch noch gefunden wird: 

  • Die Gesamt-Entwicklung bedeutet unwiederbringliche Verluste von Arten mit genetischen Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten!
  • Und auch zahlenmäßig können die starken Rückgänge durch die neu eingewanderten Arten nicht ausgeglichen werden.
    Boten des Klimawandels

    Bei den neu nachgewiesenen Nachtfaltern handelt es sich meist um weniger anspruchsvolle, gehölzbewohnende Arten, die bei uns früher vor allem aufgrund ihres höheren Wärmebedürfnisses selten waren und daher in der (2005 veröffentlichten) Roten Liste geführt wurden. Sie profitieren von den spürbar höheren Temperaturen und sind deutliche Anzeichen für den Klimawandel. Ihre Zunahme darf über den zunehmend schlechten Zustand der Offenland-Biotope nicht hinwegtäuschen.

    Kleines Eichenkarmin
    Catocala promissa

    Das wärmeliebende Kleine Eichenkarmin ist ein sogenannter „Klimawandel-Gewinner“.

    Die mediterrane Art, die an wärmebegünstigten Waldrändern und Gebüschen lebt, konnte sich seit der Jahrtausendwende von 5 auf 10 Quadranten ausbreiten.

    4. Veränderung des
    Artenspektrums der Habitate

    Weniger Gebietsnachweise

    In allen 25 Quadranten wurde für jede Art erfasst, ob sie in dem jeweiligen Lebensraum-Typ (Habitat) im Altzeitraum vorhanden war und - wenn ja - ob sie nach der Jahrtausendwende in den jeweiligen Gebieten noch bestätigt werden konnte (sog. Gebiets-Nachweis). 

    Die nachfolgende Abbildung zeigt, wie stark die Gebiets-Nachweise der Arten in den verschiedenen Habitaten durchschnittlich zurückgegangen sind.

    (Die Ergebnisse für die einzelnen Quadranten werden im Buch ausführlich erläutert.)

    Die durchschnittlichen Gebiets-Nachweise der Arten sind in allen Lebensraumtypen zurückgegangen.

    • Die durchschnittlichen Gebiets-Nachweise der Arten sind in allen Lebensraumtypen zurückgegangen. 
    • Besonders betroffen sind die Offenland-Biotoptypen, insbesondere Feucht-Grünland, Magerrasen/Fels/Heide und extensive Wiesen & Weiden. 
    • Auch in den beerstrauchreichen Nadelwäldern sowie den frischen bis feuchten Gebüschen und Säumen konnten viele Arten nach der Jahrtausendwende deutlich seltener bestätigt werden.

      Beispiele

      Arten, die in ihren Habitaten stark abgenommen haben:

      Trockenrasen-Flechtenbärchen

      Setina irrorella
      Lebensraum
      des Flechtenbärchens:
      Felsdurchsetzter Magerrasen
      (Wormental, Werbach)

      Ehemals weit verbreitete Art von Magerrasen, Felsfluren und Heidemooren. Die Raupen fressen an Felsflechten und Moosen. 

      Rückgang von 11 auf 2 Quadranten

      Röhricht-Goldeule

      Plusia festucae
      Lebensraum
      der Röhricht-Goldeule:
      Feuchtgebiets-Komplex
      (Oberbruchwiesen, Graben-Neudorf)

      Ehemals weit verbreitete Feuchtgebiets-Art. Die Raupen fressen an Feuchtgebiets-Pflanzen (z. B. Rohrkolben, Schilf, Seggen, Schwertlilie)

      Rückgang von 21 auf 6 Quadranten
      Messtischblätter und Quadranten

      Ein Quadrant ist das Viertel eines Messtischblattes der Topographischen Karte im Maßstab 1:25.000 (TK25).
      Fläche: ca. 6 km X 6 km

      5. Kontinentale und mediterrane Arten

      Da sich Baden-Württemberg in einem klimatischen Übergangsbereich von atlantischen, mediterranen und kontinentalen Einflüssen befindet und innerhalb des Bundeslandes große regionale Unterschiede bestehen, ist auch die Zusammensetzung der Nachtfalterfauna hinsichtlich ihrer Herkunft sehr unterschiedlich. Von den rund 950 Nachtfalter-Arten des Landes sind rund 19 % mediterran getönt. Kontinental getönte Arten bilden mit rund 73 % den Hauptanteil unserer heimischen Nachtfalter. 

      Im Durchschnitt haben auf den 25 Quadranten die mediterranen Arten um 7 % zugenommen - obwohl es einen generellen Verlust von minus 12 % an Arten gibt. Die kontinental getönten Arten haben hingegen überdurchschnittlich stark, nämlich um 15 % abgenommen.

      Beispiel für eine kontinentale Art

      Herbst-Zackenrandspanner

      Ennomos autumnaria

      Diese kontinentale Art kann als „Klimawandel-Verlierer“ gelten, als alleinige Erklärung für die Rückgänge reichen die klimatischen Veränderungen aber nicht aus (wie überhaupt bei Rückgängen meist eine Kombination an negativen Einflüssen vorliegt). Auch Habitat-Beeinträchtigungen spielen eine wichtige Rolle.

      Rückgang von 5 auf 1 Quadranten
      Lebensraum
      des Herbst-Zackenrandspanners
      Die Art lebt in (feuchten) lichten Wäldern, Gebüschen und Parkanlagen; Die Raupen entwickeln sich an diversen Gehölzen, unter anderem an Eiche;
      (Hier: Federsee-Gebiet)
      Messtischblätter und Quadranten

      Ein Quadrant ist das Viertel eines Messtischblattes der Topographischen Karte im Maßstab 1:25.000 (TK25).
      Fläche: ca. 6 km X 6 km

      6. Veränderung nach Höhenstufen

      Die Höhenstufen in Baden-Württemberg reichen von 80 m am Rhein bis auf knapp 1.500 m über dem Meeresspiegel auf dem Feldberg im Hochschwarzwald. Die Höhenverbreitung der Nachtfalter ist entsprechend ihrer Habitatansprüche teilweise sehr spezifisch und wurde im Rahmen des Grundlagenwerkes  für jede Art dokumentiert.

      In allen Höhenstufen gingen die Art-Meldungen zurück. Die Arten, die schon vor der Jahrtausendwende ihren Schwerpunkt im montanen und hochmontanen Bereich hatten, sind am stärksten rückläufig (s. u.)

      Situation für Arten des montanen und hochmontanen Bereichs besonders schwierig

      Die Arten, die schon vor der Jahrtausendwende ihren Schwerpunkt im montanen und hochmontanen Bereich hatten, sind am stärksten rückläufig, während die planaren Arten im Vergleich zum landesweiten durchschnittlichen Arten-Rückgang von 12 Prozent unterdurchschnittlich rückläufig sind. 

      Arten der tieferen Lagen können teilweise ausweichen

      Dies bedeutet nicht, dass es in den niedrigeren Lagen besser um die Qualität der Lebensräume bestellt ist. Im Gegenteil, dort sind in der Regel die landwirtschaftliche Nutzung und die daraus resultierende Beeinträchtigung intensiver.  Allerdings konnten in neuerer Zeit einige Arten der tieferen Lagen durch die klimawandelbedingte Erwärmung auch höher gelegene Gebiete besiedeln und hatten auf diese Weise mehr Fläche zur Verfügung, um sich verschlechternden Lebensraumbedingungen in ihren angestammten Habitaten auszuweichen. 

      Ganz anders stellt sich die Situation bei den Arten der höheren Lagen dar: sie sind meist an kühlere Bedingungen gebunden und können daher bei einer Verschlechterung ihrer Lebensräume nicht in die immer wärmer werdenden tieferen Lagen ausweichen. Zusätzlich macht ihnen der auch in den höheren Lagen spürbare Klimawandel zu schaffen.

      Beispiel für eine montane Art

      Mondfleckglucke

      Cosmotriche lobulina

      Die Raupen der Mondfleckglucke entwickeln sich an Fichte und anderen Koniferen. Aktuell verzeichnet diese kontinentale Art, die an kühlfeuchte Lebensräume gebunden ist, starke Rückgänge und zieht sich in montane Lagen und Moore Oberschwabens zurück. 

      Rückgang von 17 auf 4 Quadranten
      Lebensraum
      Die Mondfleckglucke lebt in Tannen-Fichten-Wäldern und in Mischwäldern;
      (Hier: Silberbrunnental im Hotzenwald)

      Die Schmetterlinge Baden-Württembergs

      Das von Günter Ebert herausgegebene umfangreiche Grundlagenwerk umfasst 10 Bände und behandelt nahezu alle Schmetterlingsarten Baden-Württembergs.